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Über Schnee und Eis: Beim Wintertriathlon in Estland

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Über Schnee und Eis: Beim Wintertriathlon in Estland

Wo die Winterpause aktiv ignoriert und der Schnee zum Beschreiten neuer Wege genutzt wird – Eine Reise an die Wintertriathlon-Europameisterschaften im estnischen Otepää, und entlang der Höhen und Tiefen einer Sportart, die nicht so recht den Kinderschuhen entwächst.

 

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In Otepää steht uns eine hervorragende Infrastruktur zur Verfügung, was für die Ausrichtung eines Wintertriathlons von entscheidender Bedeutung ist.

Die Seen sind zugefroren, das Wettkampfgelände ist verschneit und der Wind ebenso eisig wie die Strassen. Otepää, im Süden Estlands gelegen, präsentiert sich Ende Januar als denkbar ungeeignete Austragungsstätte für einen Triathlonwettkampf. Zu rutschig scheint der Untergrund, zu unwirtlich die Temperatur, und überhaupt fehlt, zumindest in seiner flüssigen Form, das Wasser. Den äusseren Bedingungen zum Trotz und mit Isoliermütze anstatt Badekappe finden sich dennoch über hundert Athletinnen und Athleten zum Start der Wintertriathlon-Europameisterschaften ein. Wer angesichts der Kombination von Winter und Triathlon stutzt, dem sei die Sportart in aller Kürze erklärt. Augenscheinlichster Unterschied zu Wettkämpfen im Sommer sind die Langlaufskis. Da sich Schwimmen temperaturbedingt nicht anbietet, wird mit dem Langlaufen auf eine winterspezifischere Disziplin ausgewichen, die am Ende des Wettkampfs zu absolvieren ist. Ansonsten überwiegen die Gemeinsamkeiten mit dem Sommertriathlon; es wird gerannt und es wird Rad gefahren. Einzig der Untergrund ist durchwegs ein anderer, nämlich Schnee.

 

Zumindest, sofern dieser zur Genüge vorhanden ist. Nach optimalen Bedingungen und bis zu minus zwanzig Grad im Vorjahr zeigen sich die Veranstalter des diesjährigen Wettkampfs froh, dass überhaupt Schnee auf der Strecke liegt. Auch Siim Ausmees, der Renndirektor, weiss sich darob glücklich zu schätzen: „In Otepää steht uns eine hervorragende Infrastruktur zur Verfügung, was für die Ausrichtung eines Wintertriathlons von entscheidender Bedeutung ist. Ohne die Schneekanonen wäre die wetterbedingte Unsicherheit und das Risiko einer Absage schlichtweg zu gross.“ Dass die Veranstalter eines Wintertriathlons den Winter als bisweilen problematischen und tückischen Faktor bezeichnen, stellt das Harmonieren dieser Kombination zumindest organisationstechnisch in Frage. Zumal mit dem Winter nicht nur Schnee, sondern auch Eis einhergeht. Am Vortag des Rennens ist Siim Ausmees denn auch zur Hauptsache mit dem Abstecken einer neuen Bike-Strecke beschäftigt. Der angetaute Schnee ist über Nacht vereist und die Strecke auch dem besten Radprofil nicht mehr zumutbar. Letztlich wird für den Bike-Abschnitt grösstenteils auf asphaltierte Strassen ausgewichen, was zwar den Unmut der technisch begabten Fahrerinnen und Fahrer erregt, aber immerhin den Start ermöglicht.

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Gar nicht erst anberaumt wurde dahingegen der Start der diesjährigen Weltmeisterschaften. Nach langem Zuwarten verzichtete der internationale Triathlonverband auf die Vergabe. Woran die Absage festzumachen ist, an den winter- und wetterbedingten Unsicherheiten, dem vergleichsweise tiefen Stellenwert bei den Verbänden, oder dem teilnehmermässig geringen Zulauf, lässt sich kaum feststellen. Ebenso wird sich erst noch weisen, ob es der Anfang einer grundsätzlichen Absage an den Wintertriathlon, oder lediglich ein wiederholtes Zwischentief ist. Den Kinderschuhen, in denen der Wintertriathlon scheinbar immer noch steckt, lässt sich damit jedenfalls schwer entwachsen. Der weitgehend leere Wettkampfkalender ist der ohnehin geringen Popularität ebenso wenig zuträglich wie das geringe Interesse einem Ausbau des Wettkampfangebots.

 

Auch der Schweizer Lukas Jutzi lernte zweierlei Gesichter des Wintertriathlons kennen. Als ausgebildeter Langlaufleiter bringt der Mittel- und Langstreckentriathlet scheinbar optimale Voraussetzungen für den Wintertriathlon mit. Vor drei Jahren visierte er erstmals eine Teilnahme an den Weltmeisterschaften an. Die Zielsetzung war ambitioniert, ein Medaillenrang bei den Eliteathleten das erklärte Soll. Nachdem Jutzi 2016 formbedingt von einem Start im österreichischen Zeltweg absah, sollte mittels Reduktion seines Pensums als Lehrer und einer akribischen Vorbereitung der Feinschliff erfolgen. Die Leistungen an den Sommerwettkämpfen, darunter die Qualifikation für die nächstjährige Ausgabe des Ironmans in Hawaii, bestätigten ihn in seiner Formkurve. Der 35-Jährige zeigt sich überzeugt, das gewünschte Niveau erreicht zu haben – und enttäuscht, dieses nicht wettkampfmässig umsetzen zu können: „Der Aufwand, den ich hinsichtlich der Wintertriathlon-Weltmeisterschaften betrieben habe, war beträchtlich. Entsprechend unbefriedigend ist das vorläufige Ende dieses Projekts. Die Nichtvergabe der Weltmeisterschaften ist sicherlich nicht der erwünschte Lohn für die investierte Arbeit.“

Die Nichtvergabe der Weltmeisterschaften ist sicherlich nicht der erwünschte Lohn für die investierte Arbeit.

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Im Winter Ausdauerwettkämpfe bestreiten zu können, hat seinen verdienten Reiz. Und für den Triathleten um so mehr, wenn das Rennen aus mehreren Disziplinen besteht. Genau dies bietet der Wintertriathlon.

Pavel Andreev (RUS)

Der Enttäuschung zum Trotz misst Lukas Jutzi dem Wintertriathlon vornehmlich Positives zu, womit dessen zweites Gesicht zum Vorschein kommt. Nach den Vorzügen gefragt, zeigt sich bei Jutzi die Begeisterung für den Sport: „Im Winter Ausdauerwettkämpfe bestreiten zu können, hat seinen verdienten Reiz. Und für den Triathleten um so mehr, wenn das Rennen aus mehreren Disziplinen besteht. Genau dies bietet der Wintertriathlon.“ Auch der ganzjährigen Belastung attestiert er erfreuliche Effekte, und vor allem dem Langlaufen ein Kraftzuwachs im Oberkörper und Rumpf. Allerlei Gründe also, die für den Wintertriathlon sprechen. Und doch mag sich Lukas Jutzi eben diesem nicht allzu sehr verschreiben. Die Enttäuschung über das Ausbleiben der Weltmeisterschaften sitzt tief, das Risiko eines wiederholten Dämpfers ist zu gross. So verwarf der Emmentaler auch die Möglichkeit eines Starts in Otepää.

 

Die Europameisterschaften gingen damit ohne Schweizer Beteiligung über die Bühne, was angesichts der bereits erzielten Erfolge im Wintertriathlon erstaunen kann. Mit Karin Möbes wurde die Anfangsphase der Sportart um die Jahrtausendwende massgeblich von einer Schweizerin mitgeprägt. Zwei Weltmeister- und ein Europameistertitel sprechen dabei für sich. Ein weiterer Medaillenträger der Zweitausender Jahre ist Christoph Mauch mit dreimaligem Silber an den Weltmeisterschaften und Zweimaligem an den Europameisterschaften. Ansonsten im Sommertriathlon zuhause, wusste Mauch die Winterpause für sich zu nutzen: „Der Wintertriathlon bot die Möglichkeit Spass, zusätzliche Erfolge und ein wettkampfmässiges Wintertraining gleichermassen zu haben. Bei mir lag der Reiz zusätzlich darin, in einer Pionierphase aktiv zu sein.“ Eine Pionierphase, die unfreiwillig bis heute anhält und deren Fortverlauf sich Christoph Mauch anders ausmalte. Rückblickend hält er fest: „Es wurde verpasst, der ersten Generation von Wintertriathleten eine Perspektive zu bieten. Langfristig hätte diese Olympische Winterspiele geheissen, kurzfristig ein verstärktes Engagement des Weltverbands. Da in dieser Hinsicht wenig geschah, haben viele Athleten die Sportart wieder verlassen, worunter auch der Wettkampfkalender litt.“ Der vormalige Sportdirektor von Swiss Triathlon bestätigt damit die Mühe des Wintertriathlons, sich seiner Kinderschuhe zu entledigen.

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In Otepää rücken Zukunftssorgen derweil in den Hintergrund, und die sportlichen Leistungen in den Fokus. Das Rennen gestaltet sich spannend, mitreissend gar bei den Frauen, wo sich eine Dreiergruppe an der Spitze nichts schenkt. Entschieden wird die Angelegenheit auf der abschliessenden Disziplin, bei der sich Helena Erbenova ihre Erfahrung als ehemalige Skilangläuferin zunutze macht. Ihren sportlichen Hintergrund hat die Tschechin, die mit ihrem Sieg in Otepää neben zwei Weltmeister- nun auch zwei Europameistertitel im Wintertriathlon trägt, mit den meisten Teilnehmenden gemein. Kaum jemand betreibt den Wintertriathlon als einzige Sportart, die meisten kommen aus dem Sommertriathlon, ebenso viele aus dem Cross-Triathlon. Auch bei letzterem kann Erbenova Erfolge vorweisen, auch dort ist sie Europa- und Weltmeisterin.

 

Bei den Männern und ebenfalls im Langlaufen setzt sich mit Pavel Andreev der Favorit, Vorjahressieger, amtierende Weltmeister und überhaupt alles überragende Wintertriathlet durch. Die Dominanz des Russen ist eindrücklich; an den Weltmeisterschaften ist er seit 2011 ungeschlagen, zum Europameister liess er sich in Otepää bereits zum sechsten Mal küren. Ein Grossmeister, der zugleich den familiären Charakter des Wintertriathlons verkörpert. Aufgrund mangelnder Russischkenntnisse des Autors treibt Andreev eigenhändig einen Übersetzer auf, um vom Wintertriathlon schwärmen zu können. Pavel Andreev kommt ebenfalls aus dem Skilanglauf, auch er absolviert Cross-Triathlon-Wettkämpfe. Seine Faszination aber, die gelte seit langem dem Wintertriathlon: „Auf dem Mountainbike durch den Schnee zu fahren, die dafür erforderliche Technik, der anschliessende Wechsel auf die Langlaufskis – diese Kombination und dieses Gefühl sind für mich einmalig.“ Die Sportart liegt Andreev am Herzen, mit seiner Hingabe und seinen Erfolgen erhofft er sich, den Wintertriathlon zu fördern, den Bekanntheitsgrad zu steigern und junge Athletinnen und Athleten dafür zu begeistern. Die Vision des 33-Jährigen: „Wintertriathlon-Events in aller Welt und an verschiedensten Plätzen“. Es bleibt zu hoffen, dass sich dieser Wunsch erfüllt. Verdient hat es der Wintertriathlon allemal.

Auf dem Mountainbike durch den Schnee zu fahren, die dafür erforderliche Technik, der anschliessende Wechsel auf die Langlaufskis – diese Kombination und dieses Gefühl sind für mich einmalig.

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Der Beitrag Über Schnee und Eis: Beim Wintertriathlon in Estland erschien zuerst auf Swiss Triathlon.


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