Die Technical Officials im Fokus – Einblicke in die Ausbildung der Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter
An Wettkämpfen möchten Athletinnen und Athleten möglichst nicht mit den Technical Officials in Berührung kommen. Darum soll hier, ganz ohne Sanktionsfurcht, ein Einblick in deren Ausbildung geboten werden. Im Gespräch mit dem Schiedsrichter Michael Kurth zeigt sich zudem, dass den Technical Officials das Reglement nicht zur Bibel wird.



Ein verregneter Samstagmorgen im März scheint der Motivation für so allerlei nur bedingt zuträglich. Die 24 Teilnehmenden der Ausbildung zum Technical Official liessen sich davon nicht beirren. Im Haus des Sports in Ittigen schickten sie sich an, in die Tiefen des Reglements und die Weiten der blauen und gelben Karten einzutauchen. Von Drafting und Blocking, über den richtigen Umgang mit Tricksereien bei der Lizenzkontrolle, bis zu Strategien, sich auf dem Motorrad Gehör zu verschaffen; das Programm war gedrängt und die Aufnahmefähigkeit der Teilnehmenden von Beginn weg gefordert. Was im vormittäglichen Theorieteil erlernt wurde, galt es am Nachmittag in den Praxis-Workshops umzusetzen. Ein Samstag folglich, der wenig Zeit zum Zurücklehnen bot, dafür umso spannendere Einsichten in das Heranwachsen der zukünftigen Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter.
Das Wettkampfreglement von Swiss Triathlon umfasst 30 Seiten. Wer sich vertieft damit auseinandersetzt, dem eröffnet sich ein allumfassend erscheinendes Regelwerk. Sanktionen werden in ebenso ausführlicher Exaktheit festgelegt, wie der Gebrauch des Neoprenanzuges in Abhängigkeit von Schwimmdistanz und Wassertemperatur. Insofern erstaunt, wenn der Leiter des Theorieteils, Werner Leuenberger, den Kursteilnehmenden Augenmass und situationsgerechtes Entscheiden ans Herz legt. Man ist versucht auf das Reglement zu verweisen: Steht ja alles drin. Doch selbst was schwarz auf weiss steht, birgt bisweilen Grautöne in sich. Zehn Meter Abstand in der Draftzone lassen sich nur schwer mit dem Massband abmessen, zumal auch der Wettkampfdynamik Rechnung zu tragen ist. Wenn eine Athletin ihr noch gefülltes Bidon verliert, betreibt sie auf dem Papier zwar Littering, bestraft sich damit aber gewissermassen schon selbst. Die Fragen seitens der Kursteilnehmenden zu Spielräumen in der Reglementauslegung waren zahlreich. Abschliessend beantworten konnte Leuenberger sie nicht immer. Mitnichten aus Unvermögen, sondern aufgrund der Tatsache, dass ein Reglement zwar klare Vorgaben macht, aber niemals sämtliche vorstellbaren und unvorstellbaren Situationen mit einzuschliessen vermag. Darum Leuenbergers Appell an das Augenmass, und darum der von ihm vermittelte Grundsatz, dass sanktioniert gehört, wer sich durch regelwidriges Verhalten einen tatsächlichen Vorteil verschafft.
Mit dem Befund eines Verhaltens als Regelwidrigkeit ist die Arbeit für die Technical Officials indes nicht getan. Die Sanktion gilt es umzusetzen und dem Athleten oder der Athletin mitzuteilen. Dass darauf mit Unverständnis reagiert wird, mit Kopfschütteln oder anderen und weniger zurückhaltenden Ausdrucksweisen der Unzufriedenheit, gehört zum Alltag. Auch die werdenden Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter dürfen damit rechnen, bei ihren Einsätzen nicht immer nur mit Wohlwollen konfrontiert zu sein. Der Rat Leuenbergers: Mit Bestimmtheit auftreten, Augenkontakt suchen und sich auf keinerlei Diskussionen einlassen. Es gilt eben doch, dass Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter immer Recht haben. Zumindest für den jeweiligen Moment, und für alles andere gibt es die Möglichkeit des Protests. Die Kursteilnehmenden nahmen Leuenbergers Ratschläge gerne mit. Für ihre kommenden Einsätze ohnehin, vorerst aber in den Nachmittag und die Workshops, wo sie das Erlernte in der Praxis anzuwenden hatten.
Was in der Theorie zum Drafting nach simpelsten Abläufen tönt, verkehrt sich auf dem Motorrad sitzend plötzlich zu einem veritablen Koordinationskunststück. Dass nach dem Radabschnitt ein Fuss vor der Abstiegslinie aufzusetzen hat, liest sich ebenfalls einfach. Schwieriger gestaltet sich das Ganze, wenn der Athlet in hohem Tempo herangefahren kommt. Und in der Penaltybox die abgesessenen Strafzeiten im Überblick zu behalten, ist auch nur solange keine Herausforderung, bis die Athleten synchron ihrem individuellen Zeitgefühl Ausdruck verleihen. Der Workshop bot den Kursteilnehmenden die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln und von fachkundigen Einwürfen der Leitenden zu profitieren. Für ihre Einsätze an Wettkämpfen sind sie damit bestens gerüstet. Die Triathlon-Saison steht vor der Tür, nun kann sie getrost kommen.


Die Ausbildung der Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter, der Technical Officials, geschieht bei Swiss Triathlon anhand eines fünfstufigen Konzepts. Aufeinander aufbauend definieren die Stufen Voraussetzungen, Ausbildungsinhalte und Verantwortungsbereiche, wobei sie von den Regional Technical Officials Level 1 zu den International Technical Officials führen. Eine ausreichende Anzahl an Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern stellen Kontingente sicher, die sich an die Triathlon-Clubs richten. Clubs ab 11 Mitgliedern stehen in der Pflicht, mindestens einen Technical Official zu stellen, übersteigt die Mitgliederzahl 100, erhöht sich das Mindestkontingent auf zwei Schiedsrichterinnen oder Schiedsrichter.
Interview mit Michael Kurth
„Der Sport soll durch das Reglement gelebt werden“
Michael, seit Dezember 2016 darf sich das Schiedsrichter-Ausbildungsprogramm von Swiss Triathlon mit dem Label „Accredited Technical Officials‘ Education Programme“ der ITU schmücken. Wie kam es dazu?
Das neue Ausbildungskonzept mit den fünf Stufen folgt auf ein zweistufiges Konzept mit Schiedsrichtern und Oberschiedsrichtern. Mit diesem sind wir über lange Zeit gut gefahren. Der Triathlon erfuhr jedoch Veränderungen, denen wir Rechnung zu tragen hatten. Es kamen neue Wettkampfformate hinzu und die Veranstaltungen wurden zahlreicher. Daraus zogen wir die Initialmotivation zur Ausarbeitung eines neuen Ausbildungskonzepts. Ziel war dabei, das Schiedsrichterwesen breiter abzustützen und zugleich spezifischen Erfordernissen nachzukommen. Dass wir die Akkreditierung durch die ITU anstrebten war von Beginn weg klar, richteten wir uns doch nicht zuletzt an deren Ausbildungsprogramm aus, das sich weltweit bewährt.
Das umfassende Ausbildungskonzept zeigt den Wert an, den Swiss Triathlon dem Schiedsrichterwesen zumisst. Worin siehst du die unbestrittene Wichtigkeit, die Schiedsrichtern und Schiedsrichterinnen innerhalb des Verbands zukommt?
Ein funktionierendes Schiedsrichterwesen ist von fundamentaler Wichtigkeit. Sportarten beruhen nicht ausschliesslich, aber doch wesentlich auf den ihnen zugrundeliegenden Reglementen. Dass diese umgesetzt und durchgesetzt werden, liegt also im Interesses des Sports und damit auch des Verbandes. Der Funktion der Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter kommt hierbei eine zentrale Bedeutung zu. Indem wir für das Einhalten des Reglements sorgen, helfen wir mit, die Voraussetzungen für einen fairen und sicheren Wettkampf zu schaffen.
Du sprichst mit dem Reglement das wichtigste Instrument der Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter an. Tut man diesen Unrecht, bezeichnet man sie als pedantische Handlanger des Reglements?
Absolut. Wir messen dem Reglement die Bedeutung zu, welche es verdient. Dabei vergessen wir aber mitnichten, dass im Mittelpunkt der Triathlon-Wettkampf zu stehen hat. Wird das Reglement stets wortgetreu umgesetzt, geht der Sport dahinter bisweilen vergessen. Deshalb stellen wir uns auf den Standpunkt, dass der Sport durch das Reglement gelebt werden soll. In diesem Sinne dient uns das Reglement als Leitwert für den Sport, der klare und sinnvolle Regeln vorgibt, aber niemals über dem Triathlon als solches steht.
„Eine gewisse Verbundenheit zum Sport ist unabdingbar.“
Die Bedürfnisse der Athletinnen und Athleten im Hinterkopf zu haben und zugleich das Reglement umzusetzen tönt nach einer Gratwanderung.
Eine gewisse Verbundenheit zum Sport ist unabdingbar. Eben darum stellen wir an die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter die Anforderung, Erfahrung im Triathlon mitzubringen. Nur so lassen sich Wettkampfsituationen richtig einschätzen und die Regeln fair darauf anwenden. Nehmen wir ein Beispiel: Gemäss Reglement führt das Schwimmen ohne die offizielle, vom Veranstalter zu Verfügung gestellte Badekappe zu Strafe oder Disqualifikation. Stellt sich jemand beim Schwimmausstieg hin und pflückt alle heraus, die ohne Badekappe aus dem Wasser kommen, trägt er der Wettkampfsituation keine Rechnung. Wer hingegen selbst einmal in einem Pulk mitgeschwommen ist, weiss wie wild es in diesem zu und her gehen kann. Nur so kann er auch eine situationsgerechte Entscheidung treffen.
„Im Vordergrund stehen stets die Athletinnen und Athleten.“
Dennoch sind Sanktionen bei den Athletinnen und Athleten wenig populär, zumindest wenn diese gegen sie selbst ausgesprochen werden. Wie gehst du mit diesem Unverständnis und bisweilen offen formulierten Missmut um?
Grundsätzlich dürfen wir in der Annahme gehen, dass jeder Athlet und jede Athletin selbst auch einen fairen Wettkampf will. Dass sanktioniert wird, wer sich nicht an die Regeln hält und sich dadurch einen Vorteil verschafft, ist für die Fairness unerlässlich. Darüber hinaus beschränkt sich unser Einsatz nicht auf den Wettkampftag selbst, teils sind wir bereits Monate vorher beispielsweise mit der Streckensicherung beschäftigt. Einem Athleten oder einer Athletin, die unsere Funktion in Frage stellt, dürfen wir also durchaus selbstbewusst entgegnen, dass Wettkämpfe ohne Technical Officials aus Gründen der Fairness und Sicherheit undenkbar sind. Auch hier gilt aber, und dies festzuhalten ist mir wichtig, dass stets die Athletinnen und Athleten im Vordergrund stehen sollen.
Worte der Dankbarkeit seitens der Athletinnen und Athleten dürften gleichwohl Seltenheitswert haben. Woraus ziehst du die Befriedigung und Motivation aus deiner Tätigkeit als Schiedsrichter?
Wenn auch selten kommt es tatsächlich vor, dass uns nach dem Wettkampf gedankt wird. Die Befriedigung ziehe ich aber nicht primär daraus. Vielmehr ist es stets wieder beeindruckend zu sehen, was die unzähligen Stunden der Freiwilligen und deren Engagement bewirken können. Sich am Abend als Teil eines sicher über die Bühne gebrachten und für die Teilnehmenden tollen Triathlon-Wettkampfs wissen zu dürfen, ist mir Dank genug.